Fast jede Kaufentscheidung verursacht einen Konflikt.
Oftmals sind, trotz einer gewissen Kaufabsicht, die behindernden Faktoren stärker als der Kaufwunsch. Objektiv nachweisbar ist dieses verbreitete Phänomen in Onlineshops. Hier werden in einer hohen Quote gefüllte Warenkörbe nicht abgesendet. Laut einer Studie von Connexity brechen 50 Prozent der Nutzer mit Kaufabsicht den Kauf bereits im Shop ab. Weitere 18 Prozent brechen im Warenkorb ab und 32 Prozent im Checkout. Wer selbst schon Produkte in den Warenkorb gelegt hat und dennoch nicht bestellt hat, wird meist festgestellt haben, dass ihm in den nächsten Tagen die ausgewählten Produkte in der Online-Werbung immer wieder begegnen. Dahinter verbirgt sich ein realistisches Kalkül des Anbieters. Man hofft, dass sich der potenzielle Kunde zu einem anderen Zeitpunkt in einem anderen mentalen Zustand befindet oder man baut darauf, dass sich der Kaufwunsch durch zusätzliche Argumente verstärken lässt. Dass dies jeden Tag tausendfach zum Erfolg führt, ist sowohl ein Beweis für die Intelligenz der Targeting- und -Remarketing-Methoden als auch der Tatsache geschuldet, dass wir uns als Kunden nicht zu jedem Zeitpunkt in der gleichen mentalen Verfassung befinden. Schließlich müssen wir bei fast jeder Kaufentscheidung einen gewissen Konflikt aushalten - mit uns selbst, manchmal aber auch mit unserer Lebenspartnerin oder unserem Lebenspartner. Da sind einerseits Besitzwünsche und die damit verbundenen positiven Vorstellungsbilder und andererseits die rationalen und emotionalen Barrieren, die uns so manchen „Lustkauf“ heftig vermiesen. Hinzu kommt, dass jede Ausgabe auch einen gewissen Trennungsschmerz von Geld mit sich bringt.
Kaufabbrüche auch am P.O.S.?
Auch wenn sich die nicht abgeschlossenen Kaufabsichten im stationären Handel keinesfalls so objektiv messen lassen wie in einem Onlineshop, so dürften die Quoten ähnlich hoch ausfallen wie im Onlinehandel. Dies allerdings noch mit dem Nachteil, dass eine Reaktivierung im stationären Handel ungleich schwieriger als im E-Commerce zu bewerkstelligen ist. Neulich beobachtete ich eine Frau mittleren Alters in der Non-Food-Abteilung eines Verbrauchermarktes. Nach einer etwas unschlüssigen Auswahl von Backformen bei der sie mehrere Verpackungen in die Hand nahm und wieder ins Regal stellte, legte Sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich eine Guglhupfform in den Einkaufswagen. Doch bereits nach wenigen Metern stoppte die Dame abrupt, lies den bereits gut gefüllten Wagen stehen und brachte die Backform über mehrere Meter zurück ins Regal. Immerhin war sie so höflich, diese nicht im Getränkeregal abzustellen. Welchen Konflikt die Kundin in diesen Minuten wohl mit sich selbst ausgetragen haben könnte, das Ergebnis war eine negative Kaufentscheidung. Ob diese in den kommenden Wochen nachgeholt wurde, wird uns für immer verborgen bleiben. Man kann jedoch sicher sein, dass sich solche Geschichten täglich hundertausendfach in ähnlicher Weise wiederholen. Die entscheidende Frage ist: Mit welchen Mitteln kann der einzelne Anbieter oder die einzelne Marke die Quote der Kaufabbrüche senken und zu mehr positiven Kaufentscheidungen kommen?
Verzögerte oder negative Kaufentscheidungen in B-to-B Märkten?
Welcher Vertriebler hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass trotz einer begeisternden Produktpräsentation und hoffnungsgebenden Aussagen des Entscheidergremiums, sich über Wochen und Monate nichts mehr bewegt - wenn selbst nach hartnäckiger Nachfassarbeit irgendwann der ernüchternde E-Mail-Zweizeiler mit der Absage eintrifft? Auf den ersten Blick erscheint der Informations- und Entscheidungsprozess für ein B-to-B-Produkt, z.B. eine Software, ein rein rationaler Vorgang zu sein. Schließlich wird jeder Entscheider das Verhältnis von Nutzen zu Aufwand für sich rational abwägen. Meine langjährigen Erfahrungen sagen mir jedoch, dass ein positives Resultat dieser rationalen Abwägung (Nutzen ist höher als Aufwand) noch lange nicht zu einer Kaufentscheidung führt. Die hemmenden Faktoren liegen oft außerhalb der reinen Nutzenstiftung des Produkts. Und oft sind diese emotional begründet, wie z.B.:
- Welches Risiko gehe ich als Entscheider ein?
- Wie bekomme ich die mit der Investition verbundenen innerbetrieblichen Widerstände durchbrochen?
- Was passiert, wenn nicht alle mitmachen?
- Kann ich mir eine Zusammenarbeit mit den Akteuren des Anbieters vorstellen?
Die Liste der Widerstände, die nicht direkt etwas mit dem Produkt und seinem Nutzen zu tun haben, ließe sich endlos erweitern. Entscheidend ist aber die Erkenntnis, dass bei einem Nein die negativen Visionen stets die positiven Perspektiven überlagert haben. Kernaufgabe von Marketing und Vertrieb ist es aber, das Verhältnis um 180 Grand zu drehen: Die positiven Perspektiven müssen die negativen natürlich vorhandenen Visionen, Bedenken und Ängste überlagern. Kurz: der BegehrensWERT muss gesteigert werden.
Übertragbare Patentrezepte oder individuelle Strategie?
Es ist zu beobachten, dass sich zahlreiche Marketingexperten in den sozialen Netzwerken mit pauschalen Erfolgsformeln profilieren. So erfreuen sich Headlines wie z.B. „10 ultimative Tipps für XYZ“ einer großen Beliebtheit. Selbstverständlich mag der eine oder andere Tipp für die eigene Marke erfolgversprechend sein. Dennoch entbindet es die Markenverantwortlichen keinesfalls vor einer tiefgehenden individuellen Betrachtung. Schließlich ist die Ausgangssituation für jedes Unternehmen, jedes Marktsegment und jede Zielgruppe äußerst heterogen. Eine grobe Unterscheidung zwischen B-to-C und B-to-B reichen bei Weitem nicht aus.
- Handelt es sich um eine Produktinnovation einer etablierten Marke oder eines Startups?
- Soll das Produkt in einem angestammten Markt oder in einem neuen Marktsegment verkauft werden?
- Begründet vielleicht die Innovation ein neues, noch nicht vorhandenes Marktsegment?
Dies sind nur drei Beispiele von vielen Fragen, die innerhalb eines strategischen Planungsprozesses gestellt und beantwortet werden müssen. Noch wichtiger aber ist eine intensive, tiefgreifende Beschäftigung mit der Zielgruppe. Neben dem Abgleich der Produktleistung und der Priorisierung von Nutzenaspekten sollten die „emotionalen Treiber“ und die meist vorhandenen „emotionalen Bremser“, in der Design-Thinking-Methode auch „Gains & Pains“ genannt, identifiziert werden. Dies erfordert neben methodischer Kompetenz eine große Portion an Empathie für die Menschen, die sich für das Produkt entscheiden sollen.
Am Ende steht ein hoher BegehrensWERT.
Selbstverständlich hat die Inszenierung der Marke oder des Produkts einen hohen Einfluss auf die Begehrlichkeit. Dies entbindet jedoch keinesfalls die Marken- und Marketingverantwortlichen von ihrer strategischen Aufgabe, vor jeglicher kreativen Umsetzung die Kernnutzen herauszuarbeiten und diese möglichst nah an die Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte der potenziellen Kunden anzupassen.
Idealerweise lässt sich ein erste „Proof of Concept“ über Gespräche mit Vertretern der Zielgruppe durchführen. Hierbei kann der bewusste Verzicht auf die kreative Inszenierung zu validen Erkenntnissen führen. In zahlreichen Projekten haben wir die Erfahrung gemacht, dass uns klare Hinweise über die Relevanz der Nutzenaspekte für die Zielgruppe vermittelt wurden. In einigen Fällen konnten wir so die Priorisierung verändern. Noch wichtiger sind aber oft Erkenntnisse über mögliche Hemmnisse, Befürchtungen und Ängste, die Käufer mit einem Kauf des Produkts verbinden. In nicht wenigen Fällen mussten wir feststellen, dass der Marke nur wenig Kompetenz für das neue Produkt beigemessen wurde. In der Summe konnten wir so eine ganze Reihe von wertvollen Ansatzpunkten für die Optimierung der Positionierung und der Kommunikationsstrategie mitnehmen.
Fazit: Nur eine fundierte, höchst individuelle strategische Vorarbeit leistet einen Beitrag, den BegehrensWERT der Marke und des jeweiligen Produkts zu steigern. Pauschalen Erfolgsrezepten erteilen wir eine klare, begründete Absage.